Der Führrerraum von Triebfahrzeugen der Zukunft

Steffen Renisch
August 1, 2021
Der Führrerraum von Triebfahrzeugen der Zukunft

Die Führerräume aller Fahrzeuggenerationen waren geprägt vom jeweiligen Stand der Gesellschaft, der Technik und des Bahnbetriebs. Sie spiegeln somit auch die Veränderungen in diesen Bereichen wider. Was heute modernste Technik ist, wird irgendwann durch etwas Neues abgelöst und seinen Platz in der Eisenbahngeschichte finden. Aber wie werden die Führerräume in 20 oder 30 ig Jahren aussehen? Diese Frage wurde im Bereich „Triebfahrzeugführer der DB Fernverkehr AG“ mit verschiedensten Expert*innen der Innovationsagentur „and dos Santos GmbH“ und vor allem mit Triebfahrzeugführer*innen betrachtet – mit interessanten Ergebnissen.

Erfolgreich ist ein System, das die Stärken des Menschen mit den Stärken der Technik kombiniert.

Bei der Entwicklung der Führerräume ist deutlich zu erkennen, wie sehr sich die Technik immer mehr auf den Menschen einstellt. Die zunehmend ergonomische Gestaltung der Schnittstellen zwischen Menschen und Maschinen ist ein Trend, der sowohl innerhalb als auch außerhalb der Eisenbahn anhält und weiter zur Veränderung der Führerräume beitragen wird. Während zum Beispiel frühere Lokführergenerationen ihre Arbeit vor allem im Stehen verrichten mussten (damals sprach man deshalb auch vom Führerstand), ist heute ein auf Körpergröße und Gewicht einstellbarer Führersitz selbstverständlicher Standard. Auch der Einbauort oder die Form der Elemente zur Steuerung des Fahrzeugs kommen im wahrsten Sinne des Wortes immer mehr dem Menschen im Führerraum entgegen.

So lässt sich absehen, dass in künftigen Führerräumen immer mehr Funktionen des Fahrzeugs von einer Stelle aus gesteuert werden können. Wege zu Schaltern oder Absperrhähnen werden immer weniger erforderlich. Musste man sich bei elektrischen Loks zum Abschalten eines Fahrmotors vor einigen Jahren noch in ein enges Gerätegerüst im Maschinenraum zwängen, so kann man bei aktuellen Triebfahrzeugen eine Traktionseinheit bequem mittels Touchscreens ausgruppieren, ohne dabei den Führerraum zu verlassen.

Möglich wird dies vor allem auch durch einen anderen Megatrend, der zwangsläufig in künftigen Führerräumen wiederzuerkennen sein wird – die Digitalisierung. Sie macht die Technik zwar immer komplexer, aber diese Komplexität durch eine Vereinfachung der Bedienung auch beherrschbar. Es ist gar nicht so lange her, dass ein Telefon noch ein Kabel benötigte und eine Wählscheibe besaß. Heute wischen wir über den kleinen Bildschirm eines Mobilgeräts, für dessen Rechenleistung und Speicherkapazität man vor 20 Jahren noch einen Mittelklasse-PC benötigte.

Zukünftige Entwicklungen

Aufbauend auf Systemen, wie zum Beispiel der automatischen Fahr- und Bremssteuerung, wird immer mehr Assistenz beim Führen eines Triebfahrzeugs möglich. Und die Digitalisierung ermöglicht auch eine hochgradige Vernetzung, die in den verschiedensten Formen bereits alltäglich ist. Die Übertagung von Diagnosedaten vom Fahrzeug zur Instandhaltung ist schon länger Standard und in vieler Hinsicht erweiterungsfähig, zum Beispiel zur Fernwartung.

Diese Entwicklungen sind auch für ein autonomes Fahren von grundlegender Bedeutung. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung des Führerraums als Arbeitsplatz vielleicht in Frage stellen. In den nächsten Jahren wird das autonome Fahren zweifellos eine zunehmende Rolle spielen. Ob und wann das autonome Fahren aber auf der Schiene alle durch Menschen gesteuerten Fahrten ersetzen wird, ist schwer zu bestimmen. Bei genauerer Betrachtung lässt sich leicht erkennen, dass neben autonom fahren Zügen auch noch in einigen Jahrzehnten Züge fahren, die durch Menschen gesteuert werden. Diese Zeit ist einfach zu lang, um sich nicht der Weiterentwicklung von Führerräumen zu widmen.

Darüber hinaus lässt sich grundsätzlich die Frage stellen, ob der Ersatz des Systems Mensch durch das System Technik nicht auch den Verlust der menschlichen Stärken bedeutet. Ebenso wie der Mensch hat auch die Technik ihre Stärken und Schwächen. Während die Technik zum Beispiel besser als der Mensch Prozesse über einen längeren Zeitraum fehlerfrei überwachen kann, hat der Mensch eine bessere Fähigkeit, eine unerwartete Situation einzuschätzen und darauf zu reagieren. So könnte ein System, welches die Stärken der Technik mit den Stärken des Menschen kombiniert, erfolgreicher sein als ein System, welches allein auf Technik basiert.

Ergonomie, Digitalisierung, Vernetzung

Ergonomie, Digitalisierung, Vernetzung – diese Trends unserer Zeit sind klar erkennbar. Versetzen wir uns einmal gedanklich in eine mögliche Zukunft und lassen wir die Triebfahrzeugführer*innen (Tf) ihre Arbeit mit einem solchen Fahrzeug beschreiben. Das könnte so aussehen:

Vorbereitung der Zugfahrt

Den Standplatz des Fahrzeugs und den Weg dorthin habe ich in einer App auf meinem Tablet bereits auf der Fahrt zum Abstellbahnhof gecheckt. Dabei habe ich bereits die Informationen erhalten, welches Fahrzeug es ist, wo es steht, in welchem Betriebszustand sich das Fahrzeug befindet und welche Störungen es hat. Am Standort stelle ich fest, dass sowohl der Standplatz als auch der Status genau mit den mir übertragenen Informationen übereinstimmen. Ich gehe zum Führerraum, auf dem ich auch die erste Fahrt beginne. Das Fahrzeug vernetzt sich mit meinem Tablet und erkennt mich als Tf. Die Tür entriegelt sich dadurch automatisch. Beim Betreten des Führerraums begrüßt mich die Sprachsteuerung persönlich. Der Sitz, die Beleuchtung, die Displays und die Klimaanlage stellen sich automatisch auf mein Profil ein.

Ich stelle meinen Rucksack neben den Führersitz, hänge meine Jacke an einen Bügel hinter dem Sitz und nehme im Führersitz Platz. Beim Hinsetzen erkennt das Fahrzeug meine Anwesenheit am Führerpult und präsentiert mir seinen aktuellen Status. Die erforderlichen Prüfungen (zum Beispiel Bremsprobe, Prüfläufe der Zugbeeinflussungssysteme) und Vorbereitungen (zum Beispiel Laden der Fahrplananzeige) sind bereits abgeschlossen.

Ich erkenne durch eine Meldung im Display, dass alle Arbeiten (zum Beispiel Reinigung, Instandhaltung) abgeschlossen sind und das Fahrzeug freigegeben und fahrbereit ist. Ich prüfe nur noch, dass diese Meldung vorliegt. Wegen einer gestörten Bremse erreicht das Fahrzeug heute nicht seine volle Bremsleistung. Ich quittiere die Störungen im Display. Der Fahrplan wurde bereits entsprechend angepasst und die vom Regelzustand abweichenden Geschwindigkeiten werden durch eine andere Farbdarstellung gekennzeichnet. Gleichzeitig hat auch die Betriebszentrale die Information über die Geschwindigkeitseinschränkungen erhalten. Alle Störungen wurden bereits automatisch an die disponierende Stelle und die Werkstatt übermittelt. Das kann ich an einem Symbol in der Störungsliste ablesen.

Beginn der Zugfahrt

Bei einer betrieblichen Wende erkennt der Zug durch seinen Standort, dass ein Fahrtrichtungswechsel erfolgt. Nach dem Anhalten wird der Zug automatisch gegen Wegrollen gesichert. Ebenfalls ohne mein Zutun werden die aktuellen Zugdaten an den anderen Führerraum übertragen. Dazu zählt auch das eingeschränkte Bremsvermögen infolge der gestörten Bremse. Der oder die weiterfahrende Tf bekommt damit ebenfalls automatisch eine aktualisierte Fahrplananzeige, in der die Geschwindigkeiten entsprechend angepasst sind. Ich deaktiviere meinen Führerraum. Sofort beginnen die erforderlichen Prüfläufe und andere Abläufe zur Vorbereitung der Weiterfahrt im anderen Führerraum. Die Sprachassistenz unterstützt mich dabei, dass ich nichts vergesse.

Als weiterfahrende*r Tf habe ich mich bereits vor der Ankunft des Zuges über mein Tablet mit dem Zug vernetzt und mich über den Status des Zuges informiert. So weiß ich schon jetzt, dass eine Bremse gestört ist. Nachdem mein Zug eingefahren ist, betrete ich durch eine separate Tür direkt den Führerraum. Die erforderlichen Prüfungen (zum Beispiel Bremsprobe, Prüfläufe Zugbeeinflussungssysteme) und Vorbereitungen (zum Beispiel Laden der Fahrplananzeige) sind bereits abgeschlossen. Nachdem ich alle Störungen quittiert und damit auch meine Anwesenheit bestätigt habe, meldet sich der Zug automatisch als „fahrbereit“ an den/die Fahrdienstleiter*in (Fdl). Es kann weitergehen.

Abstellen des Zuges am Ende der Fahrt

Nach der Zugfahrt fahre ich das Fahrzeug zum Abstellplatz. Die Informationen zur weiteren Verwendung des Zuges werden fortlaufend aus dem System zur Disposition an das Fahrzeug übermittelt. Damit liegen die Daten für die Folgeleistung automatisch vor. Ich deaktiviere den Führerraum. Das Fahrzeug sichert sich automatisch gegen Wegrollen. Es erkennt aus den Informationen zu seiner weiteren Verwendung, der Uhrzeit und der Außentemperatur, in welchem Zustand es abgestellt werden muss.

Das zeigt es mir im Display an. Wenige Sekunden später zeigt das Display die Meldung, dass das Fahrzeug für alles Weitere meine Hilfe nicht braucht. Ich verlasse den Zug und widme mich meiner nächsten Aufgabe.

Ausblick

So oder ähnlich könnte künftig eine Fahrschicht ablaufen. Die hier beschriebenen Szenarien basieren auf bereits vorhanden Technologien und Entwicklungen. Damit liegt die Herausforderung vor allem in der Umsetzung vorhandener Innovationen. Dazu ist gemeinsam mit Betreibern, Herstellern und Interessenvertretern die Norm zur Gestaltung von Führerräumen und Bedienkonzepten weiterzuentwickeln. Dabei muss auf der Basis des vierten EU-Eisenbahnpaktes der Mensch mit seinen spezifischen Faktoren (Human Factors) im Mittelpunkt stehen.

Quellen

ERA Leitfaden – Anforderungen an das Sicherheitsmanagementsystem für die Sicherheitsbescheinigung oder die Sicherheitsgenehmigung V1.2.

Ergebnisse des Projekts „Führerraum der Zukunft“ (DB Fernverkehr AG, Bereich Tf, „and dos Santos“ GmbH).

VO (EU) 2018/762 DER KOMMISSION vom 8. März 2018 über gemeinsame Sicherheitsmethoden bezüglich der Anforderungen an Sicherheitsmanagementsysteme gemäß

der Richtlinie (EU) 2016/798 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 1158/2010 und (EU) Nr. 1169/2010.

Autor

Steffen Renisch, Leiter Qualifizierung Triebfahrzeugführer, DB Fernverkehr AG, Frankfurt am Main

Erschienen in Deine Bahn 8/21, Verwendung mit freundlicher Genehmigung der Bahn Fachverlag GmbH https://www.system-bahn.net

Illustration

Christian Sommer, Sommer-Illustration, 20357 Hamburg

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